1961 bis 1972 – Boom und Krise des Ein-Produkt-Unternehmens
Die Massenfertigung der unter ihrem Kosenamen Käfer bekannt gewordenen Limousine und das florierende Exportgeschäft verhalfen der Volkswagenwerk AG zu einer Spitzenstellung in Deutschland. Mit hoher Produktivität baute das Unternehmen 1964 doppelt so viele Fahrzeuge wie der in der deutschen Produktionsstatistik zweitplatzierte Automobilhersteller. Im Inland hielt Volkswagen einen Marktanteil von knapp 33 Prozent bei den Pkw; mehr als die Hälfte der neu zugelassenen Lieferwagen trugen das Volkswagen Markenzeichen. Den Übergang vom Verkäufer- zum Käufermarkt meisterte die Volkswagenwerk AG Anfang der 1960er Jahre ohne Absatzeinbußen, indem es seine Modellpalette um den VW 1500 erweiterte und die Präsenz auf den internationalen Märkten verstärkte. Rund 60 Prozent der Produktion verkaufte der weltgrößte Automobilexporteur 1963 überwiegend ins europäische Ausland und in die USA, wo die Beliebtheit des Beetle seiner Popularität in Deutschland nicht nachstand. Nach vier guten Geschäftsjahren mit durchschnittlichen Steigerungsraten von 20 Prozent wuchs 1964 die Ausfuhr nach Amerika auf knapp 330 000 Fahrzeuge an. Zum Jahresende nahm das in Emden errichtete Werk die Montage des Typ 1 auf, um die Versorgung des nordamerikanischen Marktes sicherzustellen.
Der Export nach Europa gab indes Anlass zu Besorgnis. Einerseits erschwerten protektionistische Maßnahmen den Zugang zu einigen Märkten, und speziell in Italien und Frankreich konnte die Volkswagenwerk AG in den frühen 1960er Jahren kaum Boden gewinnen. Andererseits nahm der Wettbewerbsdruck in den europäischen Hauptabnehmerländern des Unternehmens spürbar zu, nachdem die Konkurrenz ihre Fahrzeuge in Qualität und Ausstattung auf Volkswagen Niveau gehoben hatte. Selbst der Binnenmarkt, den die Volkswagen Limousine lange Zeit als Epochenmodell dominierte, geriet in Bewegung. Opel und Ford brachten große 1,5-Liter-Wagen heraus, deren Optik den Geschmack breiter Käuferschichten eher traf als eine kompakte Konstruktion. Im Wettbewerb mit diesen Fahrzeugen blieb 1964 der Absatz des zunächst erfolgreichen VW 1500 hinter den Erwartungen zurück. Der Produktdiversifizierung blieb ein durchgehender Erfolg versagt.
Um seine Wettbewerbsposition zu stärken, lotete das Wolfsburger Automobilunternehmen Kooperationsmöglichkeiten mit der Daimler-Benz AG aus. Die 1964 vorgenommene Flurbereinigung überließ dem Wolfsburger Automobilhersteller die Produktion von Fahrzeugen unterhalb der Zwei-Liter-Grenze. Volkswagen nutzte die Gelegenheit und übernahm am 1. Januar 1965 zunächst 75,3 Prozent der Daimler-Benz-Tochter Auto Union GmbH. Als Aktivposten konnten die Fabrik mit einer Jahreskapazität von 100 000 Fahrzeugen, 11 000 Mitarbeiter, ein Vertriebssystem mit 1 200 Händlern und eine neue Motorengeneration verbucht werden. Diesem Potenzial standen auf der Passivseite ein hoher Lagerbestand und eine handfeste Finanzkrise gegenüber, denn die Auto Union baute auf vergleichsweise niedrigem Produktivitätsniveau ein zu teueres und deshalb schwer verkäufliches Fahrzeug. Organisatorische und modellpolitische Sofortmaßnahmen waren erforderlich, um die neue Tochter aus der Verlustzone zu führen. Der ab September 1965 in Ingolstadt produzierte Audi 72, den die Konstrukteure kurzfristig aus dem DKW F 102 entwickelt hatten, brachte in finanzieller Hinsicht keinen Durchbruch. Er bildete aber den Kern einer neuen Modellpalette, mit der Audi als selbstständige Marke im Volkswagen Konzern auf den Erfolgspfad zurückkehrte.
Mit geschmälerter Ertragslage trat Volkswagen 1966/67 in die erste Nachkriegsrezession ein, die nach einer außergewöhnlichen und lang anhaltenden Prosperitätsphase die Rückkehr zu wirtschaftlichen Normalbedingungen ankündigte. Die rückläufige Nachfrage auf dem Binnenmarkt zwang 1967 zu Produktionsanpassungen: Die Typ-1-Fertigung wurde um 14 Prozent, die Produktion des VW 1600 um 35 Prozent eingeschränkt. Obwohl die Konjunkturdaten ebenso wie die Verkaufszahlen Ende des Jahres wieder nach oben wiesen, wirkte die kurze Absatzkrise nach.
Sie demonstrierte die konjunkturelle Anfälligkeit der Großserienfertigung, die durch Veränderungen in der Produktion und Modellpolitik weiter unter Druck geriet. Die inzwischen erreichte Fertigungstiefe wie die zahlreichen Modell- und Ausstattungsvarianten hatten zu Produktivitätseinbußen geführt und schmälerten den Wirkungsgrad des Unternehmens. Damit drohte sich der elementare Konkurrenzvorteil – die Massenproduktion eines Typs – in einen gravierenden Nachteil zu verwandeln. Denn der sich mit steigendem Motorisierungsgrad verschärfende Wettbewerb auf den wichtigsten Absatzmärkten beschnitt die Möglichkeiten, die Ertragsverluste durch Verkaufssteigerungen in bisherigem Umfang oder durch Preiserhöhungen zu kompensieren.
In dieser Umbruchsituation endete die Ära Heinrich Nordhoff. Sein Festhalten an der Volkswagen Limousine, die unter Nordhoffs Leitung technisch perfektioniert wurde, sowie die Verbindung von Massenproduktion und Weltmarktorientierung führten die Volkswagenwerk AG in die Spitze der europäischen Automobilindustrie. Um diese Position zu halten, bedurfte es nach dem Tod des 20 Jahre amtierenden Vorstandsvorsitzenden einschneidender Kurskorrekturen.
Zur Verbesserung der Ertragslage leitete Volkswagen 1968 Maßnahmen zur Kostensenkung ein. Parallel zur Rationalisierung der Produktion investierte das Unternehmen in den Ausbau von Forschung und Entwicklung, deren Stellenwert neu bestimmt wurde. Dabei kam der Rekrutierung von Technikern und Ingenieuren sowie der systematischen Führungskräfteentwicklung erhöhte Aufmerksamkeit zu. Mit dem Produktionsanlauf des VW 411 im September 1968 löste sich der Wolfsburger Automobilhersteller ein weiteres Stück aus der Abhängigkeit vom Typ 1, der mit einer Tagesproduktion von 4 200 Wagen nach wie vor den Lebensnerv des Unternehmens bildete. Um seine Konkurrenzfähigkeit zu erhalten, entwickelte Volkswagen den mit neuem Fahrwerk und vergrößertem Kofferraum ausgestatteten VW 1302, der 1970 als Limousine und Cabrio in Serie ging. Alle Anstrengungen konnten indes nicht verhindern, dass der von einem luftgekühlten Heckmotor angetriebene Typ 1 an Attraktivität verlor. Eine neue Generation von Klein- und Mittelklassewagen eroberte den Markt – mit wassergekühlten Motoren und Frontantrieb, viel Innen- und Kofferraum und einer neuen Fahrzeugästhetik. Nach 1970 ging der Absatz des Typ 1 zurück, doch konnte der Rückgang durch Verkaufserfolge der südamerikanischen Töchter und der inzwischen fusionierten Audi NSU Auto Union AG aufgefangen werden, die mit ihren Modellen ein wachsendes Marktsegment bediente. Volkswagen konzentrierte sich auf die dringende Aufgabe, eine neue Produktpalette zu entwickeln.
Absatzprobleme ergaben sich ebenfalls im internationalen Geschäft, die durch den Übergang zu flexiblen Wechselkursen vertieft wurden. Die DM-Aufwertungen belasteten den Export von Volkswagen und führten auf dem Binnenmarkt zu verstärkter Konkurrenz der ausländischen Anbieter bei gleichzeitig sinkender Nachfrage. Auf die währungspolitischen Veränderungen reagierte Volkswagen mit Preiserhöhungen, zumal der anhaltende Kostendruck und die rückläufige Ertragslage kaum Spielraum ließen. Dadurch verschlechterte sich die Preisrelation zu den anderen Anbietern und mithin die Wettbewerbsposition auf wichtigen Volumenmärkten. Dies betraf vor allem den Export in das Hauptabnehmerland USA, wo Gewinne und Absatz der Volkswagen of America durch die wechselkursinduzierten Kostennachteile gegenüber japanischen und amerikanischen Automobilfirmen geschmälert wurden. Die Verkaufszahlen fielen zwischen 1970 und 1972 von rund 570 000 auf knapp 486 000 Fahrzeuge. Verschärfend kam hinzu, dass der Beetle auf der Beliebtheitsskala der Amerikaner zu sinken begann, weil er in punkto Antriebstechnik, Verbrauch und Sicherheit dem automobiltechnischen Fortschritt hinterher hinkte.
Die Volkswagenwerk AG begegnete der aufziehenden Krise mit einer Kombination aus kostensenkenden Maßnahmen in allen Unternehmensbereichen und hohen Investitionen, die in die Entwicklung der neuen Modellpalette und die Umstellung des Produktionsprozesses flossen. Im Kern zielte das aufwändige Rationalisierungsprogramm auf die Einführung neuer technischer und organisatorischer Systeme in die Fertigung, wobei die EDV-Technologie die wichtigsten Innovationsimpulse lieferte. Die elektronische Datenverarbeitung wurde zur Steuerung von Produktionsabläufen eingesetzt und zeitigte hier wie in der Konstruktion bedeutsame Rationalisierungseffekte. Damit hatte Volkswagen wesentliche Grundlagen für ein erfolgreiches Krisenmanagement gelegt. Alle Hoffnungen ruhten nun auf der neuen Volkswagen Generation.