Interview mit Professor Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts Center of Automotive Management
Die automobile Welt befindet sich im größten Umbruch ihrer Geschichte. Wir haben mit Innovationsforscher Stefan Bratzel vom Forschungsinstitut Center of Automotive Management darüber gesprochen, warum Wissen in der neuen Welt zum entscheidenden Erfolgsfaktor wird, was Konnektivität damit zu tun hat und warum es bei der Elektrifizierung schneller vorangehen könnte.
Professor Bratzel, Fahrzeuge sind heute connected. Sprich: Sie sind vernetzt und kommunizieren – mit anderen Fahrzeugen, mit ihrer Umgebung, mit der Cloud. Je mehr Fahrzeuge Daten liefern, desto präziser der Output. Ist es deshalb von Vorteil, ein Fahrzeug aus dem Volkswagen Konzern zu fahren? Stichwort Schwarmintelligenz?
In unserer jährlichen Connected-Car-Innovations (CCI) Studie untersuchen wir die Innovationstrends und Innovationsleistungen im Bereich des vernetzten Fahrzeugs. Dabei stehen die Zukunftsfelder Connectivity, Interfaces, autonomes Fahren und vernetzte Dienstleistungen im Mittelpunkt. Im Rahmen der Studie haben wir versucht, Use Cases bis zum Jahr 2030 zu definieren. Und es gibt verschiedenste Use Cases, bei denen die Menge an vernetzten Fahrzeugen aus Kundensicht ein wesentlicher Hebel dafür ist, an valide Informationen zu kommen. Es ist also eine Big Data Frage, wie man zur richtigen Zeit den Kunden relevante Informationen zur Verfügung stellen kann. Auch deswegen sind die Themen Betriebssysteme, Software- und Datenkompetenz, an denen man im Moment arbeitet (und wie man sieht nicht ganz so schlecht) ganz zentral und das hat Volkswagen erkannt.
Apropos Datenkompetenz: Der Volkswagen Konzern stellt sich etwa mit weltweiten Softwareschmieden und Digi-Labs der eigenen Software-Tochter CARIAD darauf ein, das entsprechende Wissen vorzuhalten. Wie bewerten Sie den aktuellen Wandel in der Branche?
Es ist eine herkulische Herausforderung! Ich habe vor Jahren bereits versucht, auf eine Formel zu bringen, was die zentralen Themen sind – und habe sie die „KoKoKo-Herausforderungen“ genannt. Das erste „Ko“ betrifft wie gesagt die Software- und Datenkompetenzen. Das spricht sich so leicht, aber hier handelt es sich um einen Paradigmenwechsel in der Automobilbranche: Es muss auf sämtlichen Ebenen Software- und Datenkompetenz geben. Beim zweiten „Ko“ geht es darum, neue Kooperationen zu schmieden, etwa mit Partnern aus der IT, um digitale Services und Leistungen gemeinsam und in digitalen Ökosystemen anbieten zu können. Man kooperiert also mit Playern, die teilweise größer und stärker sind als man selbst. Das letzte „Ko“ bezieht sich auf Kultur- und Organisationsstrukturen. Das ist ein langfristiges Thema.
Denn man muss sozusagen ein kulturelles Umfeld schaffen, in dem ein Software-Unternehmen gedeihen kann. Das ist unheimlich schwer, weil die alte „Hardware-Welt“ und die neue „Software-Welt“ parallel existieren und man braucht Organisationsstrukturen, in denen das funktioniert. Das sind für mich schon seit Jahren die zentralen Herausforderungen und ich glaube man hat sie erkannt. Und obwohl die Umsetzung sozusagen am offenen Herzen erfolgt, bleibt keine Alternative. Ich finde den Ansatz von Volkswagen richtig, beim Thema Software und Daten möglichst viel im eigenen Konzern umzusetzen. Es formt sich eine neue Welt und als großer Hersteller muss man in diesen neuen Themen firm werden. Nur wenige Automobilhersteller können aus eigener Kraft die strategischen Kompetenzen erlangen, die mittel- und langfristig für den Geschäftserfolg notwendig sind. Volkswagen ist einer von ihnen.
In unserer Studie zum Thema vernetztes Fahrzeug, das mit der Elektrifizierung einhergeht, liegt der Volkswagen Konzern in Sachen Innovationsstärke von 25 untersuchten globalen Automobilhersteller-Gruppen auf Platz 1.
Es geht bei den Zukunftsthemen Digitalisierung, Konnektivität und Elektromobilität allerdings nicht nur darum, sich vorhandenes Wissen anzueignen, sondern auch, neues zu entwickeln …
Ja, für den Erfolg der Automobilhersteller beim Hochlauf der E-Mobilität kommt der Innovationsstärke eine überragende Bedeutung zu. Sie wird in der Transformationsphase der Branche zu einer Überlebensbedingung, weil etablierte Hersteller zunehmend von Newcomern herausgefordert werden. Künftig werden Hersteller nur dann erfolgreich sein, wenn sie das gesamte Ökosystem der Elektromobilität im Blick haben und mit Innovationen einen erweiterten Kundennutzen realisieren. In unserer oben genannten Studie zum Thema vernetztes Fahrzeug, das mit der Elektrifizierung einhergeht, liegt der Volkswagen Konzern in Sachen Innovationsstärke von 25 untersuchten globalen Automobilhersteller-Gruppen auf Platz 1. Je besser es den Automobilherstellern gelingt, nicht nur die Mindesterwartungen zu befriedigen, sondern auch die latenten Wünsche der Kunden zu erfüllen, desto erfolgreicher werden sie sein.
Eines der Themen, bei denen Konnektivität und Elektrifizierung Hand in Hand gehen, ist die Ladeinfrastruktur. Zwar zeigen Fahrzeuge die Lademöglichkeiten in der Umgebung an, in manchen Regionen gibt es allerdings nicht so viel anzuzeigen, wie man sich wünschen würde. Warum kommt der Ausbau der Infrastruktur nicht überall so schnell voran, wie erhofft?
Das Thema Ladeinfrastruktur ist einer der zentralen Herausforderungen für die E-Mobilität. Ich denke, hier wurden in den letzten Jahren in der Politik Anfangsfehler gemacht. Es gab immens viele Anbieter, jedes Stadtwerk hat zu Beginn Ladesäulen entwickelt, was dann mit Abrechnung und Anbindung schwierig war. Die große Zahl der Anbieter hat einfach die Koordination erschwert. Aber das bekommt man gerade in den Griff.
Das zweite Thema, das man erst unterschätzt hat, ist, dass es bei der Ladeinfrastruktur nicht nur um Quantität, also die Dichte des Ladenetzes, geht. Vielmehr sind auch Verfügbarkeit und Verlässlichkeit dieser Ladeinfrastruktur entscheidend, also die Qualität: Da geht es um Authentifizierung, um die Abrechnung und um eine Übersicht, dass diese Ladesäulen, wenn sie denn da sind, auch frei sind und funktionieren. Hier wurde zu Beginn nicht genug standardisiert, weil man den systemischen Zusammenhang nicht frühzeitig verstanden hat. Ich spreche für das Vorankommen der Elektromobilität gern von den „RIP-Herausforderungen“. Also Reichweite, Infrastruktur, Preis: Diese drei hängen in der Weise zusammen, dass – wenn man eine schlechte Infrastruktur hat – man Fahrzeuge mit hoher Reichweite braucht, um die Reichweitenangst zu nehmen. Elektrofahrzeuge mit hoher Batteriekapazität haben aber auch einen vergleichsweise höheren Preis als jene mit geringerer Kapazität. Wenn ich es nun aber schaffe, eine dichte, verlässliche Ladeinfrastruktur zu schaffen, die insbesondere auch Schnellladen erlaubt, dann genügt eine sehr viel geringere Reichweite, was die Kosten der Elektrofahrzeuge reduziert und auch deren Gewicht. Das wiederum verringert letztlich den Verbrauch und ist am Ende ökologischer.
Unser Ansatz wäre der Aufbau von Schnelllade-Parks auch im städtischen Umfeld, damit man auch mal 200 Kilometer in 10 Minuten nachladen kann. Man findet in Städten ohnehin schon schwierig Parkplätze – ganz zu schweigen von solchen mit Ladeanschluss. Diese Problematik muss man auflösen, da gibt es noch sehr viel zu tun. Laden muss – auch auf Urlaubsreisen im Ausland – genauso einfach oder noch einfacher sein als Tanken. Übrigens: Für diejenigen, die eine Möglichkeit haben, regelmäßig zuhause oder bei der Arbeit zu laden, ist es jetzt schon ein Komfortgewinn. Sie brauchen gar nicht mehr zur Tankstelle fahren. Ich selbst merke das daran, dass mein Auto immer schmutziger wird, weil ich nicht mehr zur Tankstelle zum Waschen komme.
Kurzvita
Prof. Dr. rer. pol. Stefan Bratzel ist Gründer und Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Stefan Bratzel und sein Forschungsteam befassen sich seit 2004 mit den Erfolgs- und Überlebensbedingungen von Automobilherstellern und Zulieferern sowie den Zukunftsfragen der Mobilität. Auf Basis von empirischen Studien durchleuchtet das CAM die Innovationstrends der Automobilbranche sowie die Geschäftsmodelle großer IT-Konzerne und leitet daraus Thesen zur (Auto-)Mobilität der Zukunft ab.
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Stand: 24.06.2022
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