Es ist schon der zweite digitale Paukenschlag innerhalb weniger Monate: Nach der Kooperation mit Microsoft zur Automotive Cloud hat der Volkswagen Konzern nun die Zusammenarbeit mit Amazon Web Services (AWS) verkündet, um gemeinsam die Volkswagen Industrial Cloud aufzubauen. Damit bringt der Volkswagen Konzern seine beiden großen Domänen in die Cloud – zunächst das vernetzte Fahrzeug und digitale Dienste, nun seine Produktion und Logistik. Die neue Volkswagen Industrial Cloud soll perspektivisch den globalen Produktionsverbund des Volkswagen Konzerns mit seinen 122 Fertigungsstätten vernetzen. Doch was genau steckt dahinter? Und welche konkreten Vorteile soll die neue Cloud bringen? Wir fragen Martin Hofmann, CIO des Volkswagen Konzerns, und Gerd Walker, Leiter der Volkswagen Konzern Produktion.
Interview mit Martin Hofmann, CIO des Volkswagen Konzerns, und Gerd Walker, Leiter der Volkswagen Konzern Produktion
Gemeinsam mit Amazon Web Services entwickelt der Volkswagen Konzern die Volkswagen Industrial Cloud – und startet so eine neue Ära für die digital vernetzte Produktion weltweit. IT-Chef Martin Hofmann und Gerd Walker, Leiter Konzern Produktion, beantworten zentrale Fragen.
Einfach erklärt: Was ist die Volkswagen Industrial Cloud?
Walker: Die Volkswagen Industrial Cloud führt Daten aller Maschinen, Anlagen und Systeme aus sämtlichen Fabriken zusammen. Dadurch können wir unsere Prozesse noch besser analysieren – und werden dadurch produktiver. Perspektivisch wollen wir auch die globale Lieferkette mit mehr als 30.000 Standorten und 1.500 Partnerunternehmen in die Volkswagen Industrial Cloud integrieren.
Der entscheidende Fortschritt liegt also im weltweiten Datenaustausch über alle Werke hinweg?
Hofmann: Ja. Heute haben wir noch die Situation, dass sich die IT auf Fertigungsebene in den Werken in Teilen unterscheidet – weil eben auch die meisten Standorte sehr unterschiedlich sind. Das macht es nicht einfach, Daten zu vereinheitlichen und übergreifend zusammenzufassen. Mit der Volkswagen Industrial Cloud schaffen wir das: Wir führen die Daten aus allen Standorten zusammen. Künftig können wir so alle Kennzahlen aus der Produktion und Logistik, egal welcher Art, global auswerten und steuern. Wir schalten Industrie 4.0 live.
„Die Volkswagen Industrial Cloud ermöglicht eine smarte Steuerung in Echtzeit.“
Ein konkretes Beispiel?
Walker: Wenn demnächst ein Lkw im Stau steht, ein Bauteil fehlerhaft ist oder eine Maschine ausfällt, wissen sofort alle Beteiligten Bescheid. Denn die Informationen sind sofort über die Cloud verfügbar. So lassen sich zum Beispiel Materialflüsse und mögliche Lieferengpässe noch besser managen. Die Volkswagen Industrial Cloud ermöglicht eine smarte Steuerung in Echtzeit – und zwar zeitgleich in Wolfsburg und Shanghai, Chattanooga und Uitenhage.
Sprich, der Volkswagen Konzern spart so eine Menge Geld, um dieses in Innovationen zu investieren?
Walker: Kostenersparnis ist ein Effekt. Unser Hauptziel liegt aber darin, schneller, transparenter und sicherer zu werden.
Macht die neue Cloud Ihre Produktion auch weniger anfällig gegen digitale Angriffe?
Hofmann: Unsere IT-Sicherheit hat alles überall auf dem Radar, jeden Tag, jede Stunde. Mit der zusätzlichen Vernetzung, die die Industrial Cloud bringt, wissen wir künftig sofort Bescheid, wenn im IT-System eines Zulieferers eine unbekannte Software aufgespielt wird. Und dann können wir schnell bewerten, ob wir Alarm schlagen müssen. Zugleich werden alle Daten und Informationen, die wir in der Volkswagen Industrial Cloud speichern, nochmals durch uns selbst abgesichert. Das ist wie ein Bankschließfach: Wir allein verteilen die Schlüssel. Wer Einblicke in unsere Daten und Informationen erhält, entscheiden wir. Für die Architektur entsprechender Cybersecurity-Lösungen haben wir uns mit AWS geeinigt, unser Beteiligungsunternehmen Deutsche Cybersecurity Organisation (DCSO) in Berlin federführend einzusetzen.
„Beide Partner bringen dabei ihre Stärken ein.“
Nach Microsoft starten Sie mit Amazon Web Services bereits die zweite Kooperation mit einem US-Digitalgiganten binnen kurzer Zeit. Wie genau unterscheidet sich die Industrial Cloud von der Automotive Cloud?
Hofmann: Mit der Volkswagen Automotive Cloud konzentriert sich Volkswagen auf die Schaffung eines automobilen Ökosystems, das digitale Mehrwertdienste über eine Cloud-Anbindung in den Autos unserer Kunden bereitstellt. Bei der Volkswagen Industrial Cloud geht es uns um Produktionsabläufe, um die Vernetzung der Maschinen, Anlagen und Systemen in der Fabrik sowie perspektivisch um die Integration der kompletten Supply Chain mit unseren Zulieferern.
Warum entwickeln Sie die Industrial Cloud nicht ebenfalls mit Microsoft?
Walker: Wir als Unternehmen nutzen die individuellen Stärken beider Cloud-Provider. Mit Amazon Web Services gewinnen wir für die Industrial Cloud einen starken Partner, der über große technologische Fähigkeiten und innovative Cloud-Technologien im Produktionsumfeld verfügt. Insbesondere in den Bereichen Logistik und Lieferkette zählen sie mit zur Spitze.
Was werden Volkswagen und AWS jeweils beisteuern?
Hofmann: Wir entwickeln alles gemeinsam – die cloudbasierte Trägerarchitektur DPP ebenso wie die darauf aufbauenden Services. Beide Partner bringen dabei ihre Stärken ein: AWS die gerade beschriebenen und Volkswagen seine große Expertise bei der Entwicklung von IT-Lösungen im produktionsnahen Umfeld. Aber wir bestimmen Aufbau und strategische Ausrichtung.
Wie sieht Ihr Zeitplan aus?
Walker: Die Kollaboration ist zunächst für fünf Jahre angelegt. Wir starten mit Europa und binden schrittweise weitere Regionen ein. Die Trägerarchitektur wollen wir bis Jahresende in Betrieb nehmen, dann sehen wir weiter. Ziel ist es, Unternehmen aus der gesamten Wertschöpfungskette zu integrieren. Es geht die Schaffung eines stetig wachsenden, weltweiten Ökosystems im Umfeld der Produktion und Logistik des Volkswagen Konzerns.
„Es geht um die Schaffung eines stetig wachsenden, weltweiten Ökosystems.“
Wie wird denn die Industrial Cloud künftig entwickelt? Und wo?
Walker: Konzernweit verfügen wir über jahrzehntelange Fachkompetenz beim Aufbau und Betrieb hochkomplexer Fertigungen. Wir haben erfahrene Teams aus der Produktion, Logistik und IT mit großem Querschnittsverständnis für IT-Lösungen in der Fertigung. Und diese Expertise im produktionsnahen Umfeld werden wir weiter schärfen.
Hofmann: Wir werden einige Standorte der IT deutlich stärker auf Plattformentwicklung und Internet der Dinge ausrichten. In Berlin werden wir gemeinsam mit Amazon Web Services ein Zentrum aufbauen, dass sich konsequent und ausschließlich mit der Industrial Cloud beschäftigt. In Dresden konzentrieren sich Spezialisten auf die Plattform- und Softwareentwicklung, speziell mit Fokus auf das Internet der Dinge. Im Wolfsburger Smart Production Lab geht es um Robotik oder um Steuerungssysteme. Und im Münchner Data:Lab entwickeln unsere KI-Experten neuartige selbstlernende Systeme und Algorithmen zur Datenanalytik. Mittelfristig werden sich rund 220 Spezialisten schwerpunktmäßig mit der Volkswagen Industrial Cloud beschäftigen.
Sie sprechen davon, dass Sie die Volkswagen Industrial Cloud als industrielles Partnernetzwerk anlegen. Wer soll sich da beteiligen?
Walker: Wir legen unsere Industrial Cloud als offene Industrie-Plattform an, an der sich perspektivisch weitere Partner aus der Industrie, Logistik und Handel beteiligen können. Das können große Zulieferer sein, Anlagen- und Maschinenbauer. Denkbar ist zudem, dass die Cloud-Plattform grundsätzlich für andere Automobilhersteller zugänglich sein wird. Sie alle werden von der Vernetzung und einem offenen Informationsaustausch profitieren.
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