Interview mit Nicolas Koch (MCC) und Christian Bauer (PSI)
Mit dem Elektrofahrzeug an die Ladesäule – aus wissenschaftlicher Sicht eine wichtige Maßnahme gegen die Erderwärmung.
Über Klimaschutz und Mobilität wurde schon viel geforscht – was genau war das Ziel Ihres Projekts?
Koch: Die Projektidee ist vor rund drei Jahren entstanden. Damals wurde immer deutlicher: Die Transformation des Automobilsektors könnte viel schneller gehen als gedacht. Zum einen wurden Batterien für Elektrofahrzeuge immer günstiger. Neue Player aus China und den USA forderten etablierte Hersteller heraus. Zum anderen rückte der Verkehrssektor in der Dieselkrise weit nach oben in der klimapolitischen Agenda. Städte machten mit Fahrverboten und Mautsystemen lokale Verkehrspolitik. Was fehlte, waren Leitlinien für ein stimmiges Gesamtkonzept. Genau dafür wollten wir eine wissenschaftliche Grundlage schaffen.
Der Volkswagen Nachhaltigkeitsbeirat unterstützt das Projekt. Wie kann man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Koch: Es gab etliche gemeinsame Workshops mit dem Beirat und Nachhaltigkeitsexperten von Volkswagen. Uns Wissenschaftlern hat das sehr geholfen, um die Entscheidungsprobleme von Unternehmen und Politikern besser zu verstehen. Wir wollen ja nicht im Elfenbeinturm forschen – unsere Ergebnisse sollen gesellschaftlich relevant sein. In Kurzdossiers haben wir deshalb zu ausgewählten Entscheidungsproblemen unsere wichtigsten Erkenntnisse auf wenigen Seiten zusammengefasst. Darin finden Entscheider Antworten auf ihre Fragen - und was sie aus unserer Sicht darüber hinaus wissen sollten.
Bauer: Die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen war vor allem hilfreich, um unsere Daten und Annahmen mit der Praxis abzugleichen – zum Beispiel bei der Berechnung von Ökobilanzen. Trotz Kooperation war immer klar, dass wir unabhängig arbeiten und keine Auftragsforschung betreiben.
Wie können Ihre Erkenntnisse die Klimadebatte weiterbringen?
Koch: Sie können dazu beitragen, Diskussionen zu beruhigen und stärker an Fakten zu orientieren. Das gilt für viele kontroverse Fragen: Wie können wir nachhaltige Mobilitätsentscheidungen für Verbraucher attraktiv machen? Brauchen wir Mautsysteme und Fahrverbote? Welche Fahrzeugtechnologien sind am umweltfreundlichsten? Bei all diesen Themen haben wir teils hitzig geführte Debatten – losgelöst vom Stand der Wissenschaft.
Eine dieser Debatten dreht sich um die Klimabilanz verschiedener Antriebe. Wie sehen Ihre Erkenntnisse dazu aus?
Bauer: Für wirksamen Klimaschutz brauchen wir E-Autos. In der Wissenschaft ist diese Antwort schon länger klar. Es ist aber nicht gelungen, die Erkenntnis auch in der Öffentlichkeit ausreichend zu kommunizieren. Dadurch gibt es immer wieder Diskussionsbeiträge, die weitgehend frei sind von Sachkenntnis. Um es klar zu sagen: Wenn Europa 2050 klimaneutral sein will, dann darf zu diesem Zeitpunkt kein Verbrennungsmotor mehr auf der Straße sein – zumindest bei Personenwagen. Gleichzeitig müssen wir den Stromsektor von fossilen Energieträgern befreien.
„Ich finde es immer wieder faszinierend, wie sehr Einzelstudien mit dem Tenor, dass E-Mobilität nicht sauber ist, im Wissenschaftsjournalismus ein Forum bekommen.“
Wie erklären Sie sich, dass gerade über die E-Mobilität so sehr gestritten wird?
Bauer: Ich sehe zwei Punkte. Zum einen gibt es den berechtigten Hinweis, dass E-Mobilität nur in Verbindung mit genügend CO₂-armem Strom sinnvoll ist. Das ist unstrittig - der Umbau des Verkehrssektors und des Stromsektors müssen parallel stattfinden. Zum anderen nehme ich in der Autobranche immer noch große Vorbehalte gegen die Transformation wahr, weil Geschäftsmodelle und Produktpaletten komplett umgestellt werden müssen.
Koch: Ich finde es immer wieder faszinierend, wie sehr Einzelstudien mit dem Tenor, dass E-Mobilität nicht sauber ist, im Wissenschaftsjournalismus ein Forum bekommen. Aus Wissenschaftssicht ist es gut, dass Einzelne den Kenntnisstand hinterfragen und neue Daten in die Diskussion einbringen. Aber Wissenschaftsjournalismus müsste das einordnen in die vorhandenen Erkenntnisse, die über Jahre entstanden sind. Das findet oft nicht statt.
Sie sagen: Wenn man Klimaneutralität will, führt an E-Mobilität kein Weg vorbei. Warum?
Bauer: Mit Benzinern und Dieselfahrzeugen wird man CO₂-Emissionen nie vermeiden können, egal wie sparsam die Motoren sind. Im Gegensatz dazu haben E-Autos das Potenzial, die klimaschädlichen Emissionen drastisch zu senken. Der Schlüssel ist CO₂-freier oder CO₂-armer Strom. E-Autos haben heute in fast allen europäischen Ländern einen klaren Klimavorteil gegenüber Verbrennern. Nur Polen und Estland nutzen einen Strommix, mit dem Elektrofahrzeuge bei der Klimabilanz nicht im Vorteil sind
„Ich würde Batterie- und Wasserstoffautos nicht gegeneinander ausspielen. Je nach Nutzungszweck ist das eine oder das andere sinnvoller.“
Eine große Streitfrage lautet: E-Antrieb oder Wasserstoff - was ist Ihre Antwort?
Bauer: Ich würde Batterie- und Wasserstoffautos nicht gegeneinander ausspielen. Je nach Nutzungszweck ist das eine oder das andere sinnvoller. Ein großer Vorteil der Batterieautos besteht darin, dass sie den Strom im Betrieb effizienter nutzen – etwa um den Faktor 2,5. Das ist wichtig, denn erneuerbarer Strom ist knapp. Auch über den Lebenszyklus, einschließlich Herstellung, brauchen Batteriefahrzeuge weniger Energie als Wasserstoffautos. Wo es die Nutzung zulässt, sollten Autos deshalb batterieelektrisch fahren. Die Vorteile des Wasserstoffs, schnelles Tanken und hohe Reichweite, kommen besonders im Lkw-Verkehr zum Tragen, wo lange Distanzen mit hoher Beladung zurückgelegt werden.
Welche neuen Erkenntnisse nehmen Sie aus dem Forschungsprojekt mit?
Bauer: Der Klimavorsprung von E-Autos vor Verbrennern ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Das liegt an Fortschritten in der Batterieproduktion, an der längeren Lebensdauer der Batterien und am höheren Anteil erneuerbarer Energien in Europa. Im Vergleich zu Verbrennern braucht die Herstellung von E-Autos zwar immer noch mehr Energie. Das gleicht sich aber nach einigen Zehntausend Kilometern aus, sofern sauberer Strom geladen wird.
Koch: Unsere Forschung hat deutlich bestätigt, wie wichtig eine CO₂-Bepreisung als politisches Instrument ist. Bisher setzt die Politik bei Pkw sehr stark auf Effizienzstandards. Das ist auch notwendig, um neue Technologien in den Markt bringen, bietet aber keinerlei Anreiz, die Fahrleistung zu reduzieren. Im Gegenteil: Wenn mein Auto sparsam fährt, habe ich sogar einen Anreiz, mehr zu fahren als bisher. Dieser Rebound-Effekt macht die Vorteile besserer Technologien teilweise zunichte.
„Bei den Personenwagen brauchen wir einen kompletten Umstieg auf Batteriefahrzeuge.“
Welche Forderungen an die Politik ergeben sich daraus?
Koch: Nehmen wir Deutschland: Der geplante CO₂-Preisaufschlag für Benzin und Diesel ist ein guter Einstieg. Mittelfristig gibt es aber eine große Unsicherheit, wie sich die Preise weiterentwickeln. Das ist schädlich, weil es Investitionen verzögert. An dieser Stelle sollten wir nachbessern – am besten mit einer sektorübergreifenden europäischen Lösung. Übrigens ist es keineswegs so, dass ein CO₂-Preis sozial ungerecht sein muss. Im Gegenteil: Ein großer Teil der Bevölkerung kann finanziell profitieren, wenn der Staat die Einnahmen nach einem gerechten System zurückgibt.
Bauer: Beim Ausbau der Ladeinfrastruktur sollte sich der Staat noch stärker beteiligen. Und er muss bessere Rahmenbedingungen für das Laden zuhause schaffen. Es kann ja nicht sein, dass mir die Miteigentümer in einem Mehrfamilienhaus die Installation einer Wallbox verbieten können.
Was erwarten Sie von Autoherstellern?
Bauer: Bei den Personenwagen brauchen wir einen kompletten Umstieg auf Batteriefahrzeuge. In dieser Hinsicht ist die Strategie von Volkswagen vorbildlich. Wenn das alle Hersteller machen würden, wäre ein wichtiger Teil des Problems gelöst. Genauso wichtig ist es, dass bezahlbare E-Autos auf dem Markt sind. Mit Fahrzeugen für 100.000 Euro erreicht man keinen Masseneffekt.
Koch: Auch in der Wirtschaftskrise sollten wir nicht in alte Reflexe verfallen, wie es in der Diskussion über eine Abwrackprämie zu beobachten war. Eine Abwrackprämie für Verbrenner ist nicht hilfreich, um die Zukunft zu gestalten. Da sind andere Ansätze – Stichwort E-Mobilität bei Volkswagen – deutlich erfrischender.
Hinweis:
Die vollständigen Erkenntnisse des Projekts in Form von Kurzdossiers, Policy Briefs und Webtools finden Sie hier. (Nur in englischer Sprache verfügbar)
Verbrauchskennzeichnung
* ID.3 Pro Performance, 150 kW / Stromverbrauch kombiniert in kWh/100 km: 16,9 - 15,4 (WLTP); 15,4 - 14,5 (NEFZ); CO2-Emissionen kombiniert in g/km: 0