Interview mit Connie Hedegaard und Morten Kabell
Am 3. Juni ist Weltfahrradtag - Kopenhagen gilt international als Vorbild für klimafreundlichen Verkehr. Bereits 2020 sprachen Connie Hedegaard und Morten Kabell über Mobilität in der dänischen Hauptstadt und Klimaschutz in Europa. Hedegaard war EU-Kommissarin für Klimaschutz und dänische Ministerin für Umwelt. Seit 2016 ist sie Mitglied des unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirats von Volkswagen. Kabell war Umweltbürgermeister in Kopenhagen und Co-CEO des Europäischen Radfahrer-Verbands.
„Wir haben jetzt die Möglichkeit, die Wirtschaft zu stützen, die Klimakrise zu bekämpfen und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen.“
Frau Hedegaard, im vergangenen Jahr haben Sie gesagt: Wir können es uns nicht leisten, dass eine Wirtschaftskrise den Klimaschutz ausbremst. Bewahrheiten sich gerade Ihre Befürchtungen?
Hedegaard:Ich hoffe nicht. Die Beschlüsse des EU-Gipfels zeigen: Europa hat verstanden, dass der Wiederaufbau nach der Pandemie ökologisch sein muss. Wir können es uns nicht leisten, uns erst um die Corona-Krise und dann um die Klimakrise zu kümmern. Beides muss zusammen geschehen. Die große Frage ist: Wie setzt die EU ihren Plan um? Wir müssen etwas Besseres schaffen als vor der Pandemie.
Wie kann das gelingen?
Hedegaard: Es gibt viel zu verbessern: Infrastruktur und Energieeffizienz sind zwei Beispiele. Wann hatten wir jemals die Chance, soviel Geld zu investieren? Wir haben jetzt die Möglichkeit, die Wirtschaft zu stützen, die Klimakrise zu bekämpfen und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen. Wir können unsere Städte besser gestalten, unsere Häuser besser bauen und unsere Ökonomie zur Kreislaufwirtschaft umzubauen. Dazu brauchen wir Entscheider, die nicht in Silos denken, sondern das Gesamtbild sehen.
Haben wir solche Entscheider?
Hedegaard: Die Pandemie hat uns vor Augen geführt: Es ist extrem teuer, die Warnungen der Experten zu ignorieren. Regierungschefs haben gesehen, dass sich Dinge viel schneller verändern lassen gedacht. Man muss den Menschen nur gut erklären, warum die Veränderung notwendig ist. Dann bekommt man auch Unterstützung und Respekt. Ich hoffe, dass wir diese Erfahrung aus der Corona-Krise mitnehmen und beim Kampf gegen die Erderwärmung nutzen.
Foto: Mark Knudsen/Monsun
Eine wichtige Aufgabe beim Klimaschutz ist nachhaltige Mobilität - gerade in den Städten. Was empfehlen Sie?
Hedegaard: Letztlich geht es darum, dass die Menschen ihr Verhalten ändern – so wie beispielsweise in Kopenhagen, wo das Fahrrad seit Jahren immer wichtiger wird. In demokratischen Gesellschaften kann das nur freiwillig gelingen. Deshalb kommt es darauf an, dass ein Gemeinschaftsgefühl entsteht, dass die Menschen den Wandel wirklich wollen.
Kabell: Jetzt ist der Zeitpunkt, die Menschen zu überzeugen. Die praktischen Lösungen sind bekannt. Wir wissen, unter welchen Bedingungen die Leute vom Auto auf das Rad umsteigen. Wir wissen, dass wir den Stau reduzieren und dass Logistikunternehmen Milliarden sparen können, wenn ihre Fahrzeuge nicht im Verkehr stecken. Die EU sollte mindestens sechs Milliarden Euro investieren, um Städten beim Aufbau von Fahrrad-Infrastruktur zu helfen. Damit machen wir die Mobilität sicherer und schaffen viele Jobs.
Trotz des Milliardenpakets ist Geld knapp – warum sollte es gerade in Radwege fließen?
Kabell: Im Vergleich zu anderen Verkehrsprojekten ist Fahrrad-Infrastruktur billig. Als Kopenhagen mit dem Ausbau begann, war das keine ideologische Entscheidung. Die Stadt war arm und brauchte Verkehrswege, die sie sich leisten konnte. Heute ist Kopenhagen wohlhabender als vor 20, 30 Jahren. Das liegt auch daran, dass die Stadt sehr effizient in Mobilität investiert hat.
Wie spielt das Fahrrad mit anderen Verkehrsmitteln zusammen?
Kabell: Kopenhagen hat dafür gesorgt, dass die Menschen ihre Räder problemlos mit zum Bahnhof und in den Zug nehmen können. Pendler und Touristen sollen ihr Ziel so einfach wie möglich erreichen. Es wäre extrem kurzsichtig, nicht alle Verkehrsmittel zusammen zu denken.
Hedegaard: Mein Haus liegt acht Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Wenn ich in die Innenstadt muss, entscheide ich mich fast immer für das Rad und gegen das Auto – selbst an regnerischen Tagen. Ich weiß, dass ich das Rad bei Bedarf im Zug nach Hause bringen kann. Das gibt mir ein Gefühl der Freiheit.
Welche Rolle spielt die E-Mobilität?
Kabell: Für den Klimaschutz sind E-Autos wesentlich besser als Verbrenner. Allerdings gibt es ein Problem: Wenn ich mir ein Elektrofahrzeug kaufen würde, hätte ich nicht die leiseste Ahnung, wo ich es in unserem Viertel laden könnte. Und das, obwohl ich mitten in Brüssel lebe. Unternehmen, Städte und Regierungen müssen eng zusammenarbeiten, um das zu ändern.
Hedegaard: Mit dem Ausbau der Ladeinfrastruktur könnten wir sofort viele Arbeitsplätze schaffen - das wäre in der Krise immens wichtig. Gleichzeitig verhindern wir Engpässe, wenn die Zahl der Elektroautos steigt. Bei mir in Kopenhagen ist die Infrastruktur in Ordnung – obwohl wir auch in den Städten mehr tun könnten. Wirklich problematisch ist es auf dem Land. Je weiter ich raus fahre, desto weniger Ladesäulen finde ich. Wir sollten den Ausbau zu einem gemeinsamen Projekt machen. Das Ziel: Wenn die Krise vorbei ist, stehen in Europa genügend Ladesäulen. Gleichzeitig müssen wir die Energiewende voranbringen, damit die E-Autos mit sauberem Strom fahren.
Was können Unternehmen wie Volkswagen beitragen, damit der Wiederaufbau grün wird?
Hedegaard: Ein extrem wichtiger Punkt sind die Produkte. Das heißt: immer mehr Elektroautos mit immer besseren Reichweiten. Mit der Ankündigung, dass die Zeit der Verbrenner abläuft, hat Volkswagen ein starkes Signal gesendet. Das Unternehmen baut auf Elektromobilität. In der Lieferkette setzt sich Volkswagen für saubere Rohstoffe und eine saubere Logistik ein. Und nicht zuletzt verfügen große Unternehmen über große Marketingbudgets. Sie haben die Chance, die Menschen zu überzeugen: E-Autos sind die Zukunft, E-Autos funktionieren im Alltag.
„Kopenhagen hat nichts unternommen, was nicht jede andere Stadt tun könnte. Das Modell ist exportierbar.“
Kopenhagen will 2025 klimaneutral sein. Was können andere Städte davon lernen?
Kabell: Zwei Dinge. Erstens: Es braucht nicht nur ein klares Ziel, sondern auch einen präzisen Fahrplan. Der fehlte in Kopenhagen zu Beginn. Diesen Anfangsfehler hat die Stadt inzwischen korrigiert. Heute gibt es einen detaillierten Fahrplan mit mehr als 400 Einzelzielen. Zweitens: Klimaneutrale Städte sind möglich. Allein mit den beschlossenen Maßnahmen wird Kopenhagen sein Ziel zu mehr als 90 Prozent erreichen. Es bleiben einige Jahre, um den Rest zu schaffen – ich bin sicher, dass das gelingt. Um CO₂-neutral zu werden, braucht es allerdings eine enge Zusammenarbeit mit den umliegenden Regionen, mit nationalen Regierungen und der EU. Im Alleingang kann keine Stadt klimaneutral werden.
Zumindest den inoffiziellen Titel der Weltfahrradhauptstadt hat sich Kopenhagen aus eigener Kraft gesichert. Wie ist das gelungen?
Kabell: Es war ein langer Weg über mehrere Jahrzehnte. Manches war gut geplant, manches war Glück. Die Stadt hat viel ausprobiert. Binnen 12 Jahren wurden allein am Hafen 14 neue Brücken gebaut. Damit sind Verbindungen entstanden, die das Rad für viele Menschen zum besten Verkehrsmittel gemacht haben. Das alles ist weder schwierig noch teuer. Kopenhagen hat nichts unternommen, was nicht jede andere Stadt tun könnte. Das Modell Kopenhagen ist exportierbar. Jede Stadt kann Fahrrad-Stadt werden.
Hedegaard: Ein entscheidender Vorteil beim Radfahren ist, dass man sich viel Zeit im Stau erspart. Ich persönlich komme mit dem Fahrrad in 25 Minuten verlässlich in die Innenstadt. Mit dem Auto kann es bis zu 50 Minuten dauern. Andere Pluspunkte kommen dazu: Ich habe Bewegung, ich bin an der frischen Luft. Ich spare Geld, denn die Parkgebühren für Autofahrer sind hoch. Inzwischen ist das Radfahren so beliebt, dass man teilweise auf den Radwegen im Stau steht. Würden alle Kopenhagener mit dem Auto zur Arbeit fahren, würde der Verkehr zusammenbrechen.
Wie beginnt man den Weg zur Fahrrad-Stadt?
Kabell: Fangt an mit dem Radwege-Bau! Baut ein zusammenhängendes Netz, das die Vororte einschließt. Und denkt an die Sicherheit! Es braucht kein Hi-Tech, um Radfahrer und Autos voneinander zu trennen. Es geht nicht so sehr um die Erwachsenen mittleren Alters. Interessant wird es, wenn sich Kinder sicher genug fühlen, um mit dem Rad zur Schule zu fahren. Lernt von Kopenhagen, von Amsterdam oder Freiburg. Vermeidet ihre Fehler, dann kommen die Fortschritte schnell. In Kopenhagen nutzen heute mehr als 60 Prozent der Pendler das Fahrrad, um zur Arbeit oder zur Schule zu fahren. Das ist einmalig. Aber Städte wie Oslo, Rom, Berlin oder Paris ziehen nach. Es ist eine internationale Bewegung.
Hedegaard: Die Stadtplaner müssen umdenken: Autofahrer sind nicht die Einzigen, deren Bedürfnisse zu berücksichtigen sind. Städte brauchen vernetzte Verkehrslösungen. Und Vorbilder. An manchen Orten ist es immer noch schicker, mit dem Auto vorzufahren als mit dem Fahrrad. Da müssen wir umdenken.
Zur Person:
Connie Hedegaard ist Vorstandsvorsitzende der Universität Aarhus und Vorstandsvorsitzende der KR Foundation, einer internationalen Klimastiftung. Von 2010 bis 2014 war sie EU-Kommissarin für Klimaschutz und von 2004 bis 2009 dänische Ministerin für Umwelt und nordische Kooperation sowie für Klima und Energie. Seit 2016 ist Hedegaard Mitglied des unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirats von Volkswagen.
Morten Kabell war von 2014 bis 2017 Bürgermeister für Technik und Unwelt der dänischen Hauptstadt Kopenhagen. Anschließend arbeitete er als COO und CEO für Copenhagenize Design, ein Beratungsunternehmen für Stadtplanung, und in Brüssel als Co-CEO des Europäischen Radfahrer-Verbands (European Cyclists’ Federation – ECF). Heute ist er für die Ingenieur-, Architektur- und Managementberatung Ramboll tätig.
Verbrauchskennzeichnung
1ID.4 - Stromverbrauch (NEFZ) in kWh/100 km: kombiniert 16,9-16,2; CO2-Emission in g/km: 0; Effizienzklasse: A+