Interview mit Meike Niedbal, Leiterin Smart City bei der Deutschen Bahn
Experten sind sich einig: Der Verkehr der Zukunft muss vernetzt sein. Im Interview spricht Meike Niedbal, Leiterin Smart City bei der Deutschen Bahn, über das Zusammenspiel von Schiene, Auto und E-Scooter. Außerdem erklärt sie, warum Bahnhöfe als Co-Working-Spaces wichtiger werden.
„Die Schiene muss das Rückgrat der Mobilitätswende sein.“
Der Verkehr muss CO₂-neutral werden. Welche Rolle kann die Bahn spielen?
Die Schiene muss das Rückgrat der Mobilitätswende sein. Kein Verkehrsmittel befördert so viele Menschen so schnell und effizient von A nach B wie die Bahn. Hinzu kommt, dass die Deutsche Bahn heute schon mit einem hohen Anteil erneuerbarer Energie fährt – 60 Prozent insgesamt, 100 Prozent im Fernverkehr. Wenn die Bahn neue Kunden gewinnt, nutzt das dem Klimaschutz.
Wie wollen Sie zusätzliche Kundinnen und Kunden überzeugen?
Ein wichtiges Argument ist der Komfort während der Reise. Wir arbeiten daran, dass Zugfahrten noch stärker zu Quality Time werden, die die Reisenden nach ihren Interessen nutzen können. Dazu gehört beispielsweise schnelles Internet, damit man während der Fahrt mit der Welt verbunden bleibt. In den vergangenen Jahren haben wir mehr als 200 Millionen Euro in die technische WLAN-Infrastruktur an den Bahnhöfen, in den Zügen und Bussen investiert. Und wir bauen weiter kontinuierlich aus: Allein in das WLAN an den über 130 Bahnhöfen fließen aktuell rund 44 Millionen Euro.
Braucht es mehr Investitionen in die Schiene und weniger in die Straße?
Wir brauchen ganz sicher mehr Investitionen in die Schiene – und die gibt es auch. Der Bund und die Bahn stellen bis 2030 insgesamt 86 Milliarden Euro für die Infrastruktur bereit. Das Geld fließt in die Instandhaltung sowie in den Ausbau und Neubau von Strecken und Bahnhöfen. Parallel digitalisieren wir das Schienensystem, sodass mehr Züge in kürzeren Abständen fahren können. Der Ausbau der Schiene bedeutet nicht, dass Investitionen in die Straße pauschal gekürzt werden sollten. Auch wir haben ein Interesse daran, dass unsere Kunden gut zum Bahnhof kommen – zu Fuß, mit dem Fahrrad oder eben mit dem Auto.
Es wird viel über Vernetzung gesprochen – wie kann sich die Bahn besser mit anderen Verkehrsmitteln ergänzen?
Optimale Vernetzung ist erreicht, wenn Reisende die unterschiedlichen Verkehrsmittel kaum noch wahrnehmen. Drei Dinge sind wichtig. Erstens: ein automatischer Check-in mit Best-Preis-Garantie über die gesamte Reisekette. Eine Fahrkarte muss für alle Verkehrsmittel gelten. Zweitens: passende Transferzeiten - mal will ich möglichst schnell ans Ziel, mal ist mir eine komfortable Verbindung wichtiger. Drittens: ein digitaler Reiseassistent, der mich informiert, auf die Verkehrslage reagiert und mich zu meiner Anschlussmobilität leitet – das kann ein Car-Sharing-Angebot, ein E-Scooter oder die nächste Straßenbahn sein.
Was muss sich dafür ändern?
Mobilitätsanbieter müssen verstehen, dass sie nicht ständig im Wettbewerb miteinander stehen. Wenn die wichtigen Player ehrlich zusammenarbeiten, können viele profitieren – die Kunden, die Unternehmen, der Klimaschutz. Unser Mobilitätsverhalten kann nicht so bleiben wie in den letzten Jahrzehnten. Ich bin überzeugt, dass klimafreundliche Angebote eine Nachfrage finden.
In der Corona-Pandemie meiden viele Menschen öffentliche Verkehrsmittel. Ist das nur ein kurzfristiger Effekt oder drohen langfristige Schäden?
Der öffentliche Verkehr hat in der Pandemie tatsächlich stark gelitten. Vor kurzem jedoch hat eine Studie der Charité gezeigt, dass Bahnreisen keine erhöhte Ansteckungsgefahr mit sich bringen. Die Infektionsquote unserer Mitarbeiter, die täglich viele Stunden im Zug verbringen, ist sogar niedriger als in der Kontrollgruppe. Das zeigt, dass die Hygienemaßnahmen wirken. Ich bin zuversichtlich, dass wir das Vertrauen der Reisenden zurückgewinnen.
Foto: Deutsche Bahn
„Viele Menschen, die im Homeoffice arbeiten, werden gelegentlich einen weiteren Arbeitsort brauchen.“
Vor kurzem haben Sie am Berliner Hauptbahnhof einen Co-Working-Space eröffnet. Was hat das mit Mobilität zu tun?
Nicht zuletzt Corona hat gezeigt, wie eng Arbeit und Mobilität verknüpft sind. In unseren Zügen kann man heute schon wunderbar arbeiten. Aber in dem Moment, wo unsere Kunden den Zug verlassen, verlieren sie das mobile Büro. Da setzen wir an - mit Arbeitsplätzen im Bahnhof, ohne Vertragsbindung, minutengenau abgerechnet. Wir glauben, dass solche Angebote perspektivisch auch an kleineren Pendlerbahnhöfen funktionieren.
Woher kommt der Bedarf?
Viele Menschen, die im Homeoffice arbeiten, werden gelegentlich einen weiteren Arbeitsort in der Nähe ihrer Wohnungen brauchen. Einen Schreibtisch, den man bei Bedarf nutzen kann. Oder einen Ort, um Kollegen zu treffen.
Ist der Bahnhof der Zukunft ein Multifunktionsgebäude?
In erster Linie bleibt ein Bahnhof Mobilitätsdrehscheibe, an der verschiedene Verkehrsträger aufeinander treffen. Bahnhöfe sind aber auch immer Orte der Begegnung. In normalen Zeiten steigen an Deutschlands Bahnhöfen täglich 21 Millionen Menschen ein, aus oder um. Ich kenne keinen anderen Ort, der solche Zahlen erreicht. Weitere Funktionen gewinnen an Bedeutung. Ein Bahnhof kann zum Beispiel Kunstgalerie, Kino, Marktplatz oder auch Logistik-Hub sein. Aus diesem Grund haben wir als Pilotprojekt die „Hamburg Box“ gestartet.
Was ist die „Hamburg Box“?
Als „Hamburg Box“ bezeichnen wir intelligente Schließfächer, die wir an 20 Bahnhöfen und Haltestellen von Altona bis Wandsbek aufgestellt haben. Die Idee: Viele Menschen bestellen im Online-Handel. Da sie nicht ständig zuhause sind, klingeln die Paketboten oft vergeblich. Das ist schade für den Logistiker und schade für die Kunden, die die Bestellung in einem Paketshop abholen müssen. Bei der „Hamburg Box“, können die Menschen die Ware an einem Ort mitnehmen, an dem sie ohnehin vorbeikommen. Damit leisten wir einen Beitrag, den gewerblichen Verkehr zu verringern.
Werden Sie das Projekt ausweiten?
Wir gehen fest davon aus, dass der Bedarf an händlerübergreifenden Schließfächern nicht nur in Hamburg, sondern deutschlandweit besteht. Doch zunächst wollen wir mehr Erfahrung sammeln – zum Beispiel zu den richtigen Standorten. Das System steht übrigens nicht nur dem Online-Handel offen. Jedes Geschäft, das heißt auch der stationäre Einzelhandel, kann die „Hamburg Box“ nutzen.
„Kleine und mittelgroße Bahnhöfe werden wichtiger.“
Funktionieren solche Angebote auch auf dem Land?
Ja, davon bin ich fest überzeugt. Wir erleben einen Trend zurück in die Provinz. Das bedeutet, dass kleine und mittelgroße Bahnhöfe wichtiger werden. In unserem Projekt Zukunftsbahnhöfe erproben wir an 16 ausgewählten Orten neue Services – es geht beispielsweise um Anschlussmobilität, Einkaufsmöglichkeiten und Aufenthaltsqualität. Auch Wolfsburg ist dabei. Die Zukunftsbahnhöfe befinden sich keineswegs nur in Metropolen, sondern auch in kleineren Städten wie Haltern am See oder Wernigerode. Ende des Jahres werden wir bewerten, welche Angebote sich bewähren.
Zur Person:
Meike Niedbal ist Leiterin Produkt- und Portfoliomanagement sowie Leiterin Smart City bei der Deutschen Bahn. Zuvor verantwortete sie bei der Bahn die Bereiche Nachhaltigkeitsmanagement und Zukunftsforschung. Die begeisterte Hobby-Gärtnerin lebt in Potsdam.
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