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„Auf Kinderarmut lässt sich kein nachhaltiges Geschäft aufbauen“

Interview mit Georg Kell und Daniel Göhler

Volkswagen ist auf dem Weg zum führenden Volumen-Anbieter von Elektroautos. Eine der größten Herausforderungen: saubere Lieferketten für Batterie-Rohstoffe. Im Interview diskutieren Georg Kell, Sprecher des unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirats, und Daniel Göhler, Leiter Nachhaltigkeitsstrategie in der Volkswagen Beschaffung, über Menschenrechte, Umweltschutz und Chancen für Entwicklungsländer.

Deutschland und die EU planen gesetzliche Regeln für Lieferketten. Haben es Unternehmen wie Volkswagen versäumt, selbst aktiv zu werden?

Göhler: Wir unterstützen einen verbindlichen Rechtsrahmen, der Volkswagen und die ganze Industrie in die Verantwortung nimmt. Entscheidend ist aber: Wir warten nicht erst darauf, dass Gesetze uns verpflichten. Unsere Kunden und wir selbst tun es längst. Volkswagen arbeitet seit Jahren an nachhaltigen Lieferantenbeziehungen. Ein Beispiel: Seit 2019 müssen alle relevanten direkten Geschäftspartner ein Nachhaltigkeitsrating durchlaufen. Umwelt- und Sozialstandards stehen damit gleichberechtigt neben Kriterien wie Kosten oder Qualität. Allerdings gebe ich zu: Die direkten Zulieferer sind nur die Spitze des Eisbergs. Der Weg zu transparenten Lieferketten ist lang und schwierig. Wir sind ein gutes Stück vorangekommen. Aber wir sind noch nicht am Ziel.

Wo liegen die Probleme?

Göhler: Beispielsweise bei den Batterie-Rohstoffen wie Kobalt, Nickel, Graphit und Lithium. Sie durchlaufen lange Lieferketten mit bis zu neun Stufen. Es ist nicht leicht zu durchschauen, welche Unternehmen beteiligt sind und wie dort gearbeitet wird. Seit 2020 verlangen wir bei allen Neuverträgen für Batterie-Rohstoffe vollständige Transparenz bis zur Mine. Diesen Ansatz weiten wir nun aus: Wir führen ein einheitliches Rohstoff-Managementsystem ein, das neben den Batterie-Rohstoffen Lithium, Kobalt, Nickel und Graphit auch Konfliktmineralien wie Tantal und weitere Rohstoffe wie Kupfer oder Leder umfasst.

Kell: Das neue Managementsystem schafft eine gute Grundlage, um das weit verzweigte Lieferantennetzwerk mit über 65.000 Standorten der Geschäftspartner des Konzerns auszuleuchten. Aber von einem Unternehmen wie Volkswagen darf man nicht nur verlangen, dass es die Zustände beim Abbau von Kobalt oder Lithium kennt. Es muss auch dazu beitragen, die Lebensbedingungen in den Abbaugebieten zu verbessern. Auf Kinderarmut oder Umweltverschmutzung lässt sich kein nachhaltiges Geschäft aufbauen.

„In fünf, spätestens zehn Jahren müssen alle Lieferketten transparent sein.“

Georg Kell Sprecher des unabhängigen Nachhaltigkeitsbeirats

Was muss passieren?

Kell: Ein gutes Beispiel ist die Initiative „Cobalt for Development“ in der Demokratischen Republik Kongo. Dort arbeitet Volkswagen gemeinsam mit weiteren Partnern daran, Minenarbeiter über Gesundheits- und Sicherheitsrisiken zu informieren und nachhaltige Abbaupraktiken für Kobalt zu entwickeln. Außerdem fördert das Projekt Bildungsangebote und alternative Einkommensquellen. Diesen Ansatz unterstützt der Nachhaltigkeitsbeirat sehr. Mit seiner Größe hat Volkswagen die Möglichkeit und die Pflicht, in Ländern wie der DR Kongo zu helfen.

Göhler: Wichtig ist, dass wir solche Projekte nicht vom Schreibtisch in Deutschland planen. Nur wenn man sich vor Ort ein genaues Bild verschafft, kann man helfen. So war es im Kongo – und so könnte es künftig in Chile sein, wo große Mengen Lithium für Batterien abgebaut werden. Im vergangenen Jahr waren wir mit einem kleinen Team in der Atacama-Wüste, um uns zu informieren und mit den einheimischen Atacameños ins Gespräch zu kommen. Die Situation dort ist nicht einfach. Im nächsten Schritt wird es darum gehen, vor Ort eine vertrauensvolle Gesprächsgrundlage mit verschiedenen Partnern zu legen und zusammen nach Lösungen zu suchen, um die Lebensgrundlagen der Menschen zu schützen. Gerade auch die der indigenen Einwohner. Wir arbeiten gerade die nächsten konkreten Schritte aus.

„Cobalt for Development“ wird von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt und von Unternehmen finanziert. „Mit seiner Größe hat Volkswagen die Möglichkeit und die Pflicht, in Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo zu helfen“, sagt Georg Kell. Foto: GIZ

Als eines der größten Probleme gilt Kinderarbeit beim Kobaltabbau. Was tun Sie, um mehr Licht in die Lieferkette zu bringen?

Göhler: Kinderarbeit lehnen wir entschieden ab – davon wollen wir nicht profitieren. Deshalb brauchen wir Kontrollen auf der Grundlage von transparenten Lieferketten. Genau daran arbeiten wir mit unseren direkten Lieferanten. Darüber hinaus überprüfen wir durch einen unabhängigen Dienstleister auch relevante Sub-Lieferanten, um so den Materialfluss des Kobalts nachzuvollziehen. Wir sind dabei, soziale und ökologische Standards für Minen zu entwickeln. Dazu gehören beispielsweise Anforderungen zum Arbeitsschutz, zum Gesundheitsschutz und ein Mindestalter für Arbeiter, das die Minen mit Zugangskontrollen überprüfen müssen. Über den Fortschritt werden wir regelmäßig berichten, damit sich Außenstehende ein Bild machen können.

„Unser Ziel ist, die Situation beim Lieferanten zu verbessern. Das gelingt oft nicht, wenn wir bei einem Verstoß die Geschäftsbeziehung beenden.“

Daniel Göhler Leiter Nachhaltigkeitsstrategie in der Volkswagen Beschaffung

Inwieweit kann Künstliche Intelligenz helfen, Risiken zu erkennen?

Kell: Big Data wird immer wichtiger, um Lieferketten transparent zu machen. Mit KI kann man beispielsweise Online-Beiträge einer bestimmten Sprache auswerten und einen täglichen Statusbericht über drohende Verletzungen von Menschenrechten und Umweltstandards erhalten. Künstliche Intelligenz hilft, gute Frühwarnsysteme aufzubauen. Es ist allerdings kein Ersatz für Maßnahmen vor Ort.

Göhler: KI trägt dazu bei, die Informationsflut zu filtern und zu priorisieren. In unserem Pilotprojekt mit dem Unternehmen „Prewave“ bei den Marken Volkswagen Pkw, Audi und Porsche testen wir, wie wir große Datenmengen noch besser nutzen können. Die Auswertungen gleichen wir mit Informationen unserer Lieferanten ab, um Probleme aufzudecken. Allerdings kann die beste Technik nur der kleinere Teil der Lösung sein – entscheidend ist die Qualität der Daten.

Welche Sanktionen drohen Lieferanten, die Menschenrechte oder Umweltstandards verletzen?

Göhler: Im vergangenen Jahr haben wir 17 Verträge wegen Nachhaltigkeits-Verstößen gekündigt und diese 17 Unternehmen für neue Aufträge gesperrt. Solche Sanktionen sind unser schärfstes Schwert – aber das letzte Mittel. Unser Ziel ist, die Situation beim Lieferanten zu verbessern. Das gelingt oft nicht, wenn wir bei einem Verstoß die Geschäftsbeziehung beenden. Viel häufiger als Vertragskündigungen sind deshalb Maßnahmenpläne mit klaren Zeitvorgaben und Verantwortlichkeiten.

Kell: Einen Vertrag zu kündigen, ist die einfache Lösung – aber damit verändert sich nichts zum Besseren. Im Extremfall braucht es Sanktionen. Sehr viel zielführender ist es allerdings, die Probleme mit den Lieferanten anzugehen. Das gilt für Menschenrechte, Arbeitsbedingungen und Umweltschutz. Die Verträge sollten so gestaltet sein, dass sich die Unternehmen im eigenen Interesse verbessern wollen - und dass sich soziale und ökologische Fortschritte gegenseitig verstärken.

In Salzgitter betreibt Volkswagen Group Components eine Pilotanlage für das Recycling ausgedienter E-Auto-Batterien.

Sind vollständig saubere Lieferketten erreichbar oder müssen wir damit leben, dass es beim Rohstoffabbau immer Probleme geben wird?

Kell: Bergbau war nie ein sauberes Geschäft. Das muss man realistisch sehen. Dennoch erwarte ich von Volkswagen ehrgeizige Ziele: In fünf, spätestens zehn Jahren müssen alle Lieferketten transparent sein. Hoffnung macht die Kreislaufwirtschaft. Wenn es gelingt, Batterie-Rohstoffe wie Lithium, Nickel oder Kobalt zum größten Teil zu recyceln, sinkt der Bedarf an neuen Rohstoffen drastisch. Mit der Pilotanlage für Batterie-Recycling in Salzgitter ist Volkswagen auf dem richtigen Weg. Bis zu 95 Prozent der wertvollen Batteriestoffe können hier wiederverwertet werden. Das muss eine strategische Priorität sein.

Lieferkettengesetz
Mit einem geplanten Lieferkettengesetz will die Bundesregierung Unternehmen verpflichten, für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards bei ihren Lieferanten zu sorgen. Dazu sollen die Firmen unter anderem Beschwerdemöglichkeiten einrichten und über ihre Aktivitäten berichten. Das Gesetz soll ab 2023 für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gelten, ab 2024 für Firmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Parallel bereitet das EU-Parlament ein europäisches Lieferkettengesetz vor, das nach den Vorstellungen vieler Abgeordneter strengere Regeln enthalten und für mehr Unternehmen gelten könnte als das deutsche Gesetz.

Rohstoff-Managementsystem

Der Volkswagen Konzern hat im Januar offiziell ein neues Rohstoff-Managementsystem eingeführt, das einheitliche Nachhaltigkeitsstandards für Abbau und Verarbeitung von 16 besonders risikobehafteten Materialien schaffen soll. Das System gilt für die Batterie-Rohstoffe Lithium, Kobalt, Nickel und Graphit, die Konfliktmineralien Zinn, Wolfram, Tantal und Gold, für Aluminium, Kupfer, Leder, Glimmer, Platingruppenmetalle, Stahl, Naturkautschuk sowie für die Seltenen Erden. Ziel ist eine erhöhte Transparenz entlang der Lieferketten, die beispielsweise durch zertifizierte Audits und den Einsatz von Blockchain-Technologie erreicht wird sowie die gezielte Entwicklung von Maßnahmen zur Risikominimierung. Darüber hinaus sind Pilotprojekte zur Verbesserung der lokalen Lebensbedingungen in den Abbaugebieten geplant. Konzernmarken wie Volkswagen Pkw, Audi, Porsche, Scania und MAN übernehmen die Verantwortung für die Lieferketten verschiedener Rohstoffe und entwickeln verbindliche Vorgaben für den Konzern.

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